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Die Besiedlung Ochtrups

Von Helmut Elsner

Die Geschichte Ochtrups fängt nicht erst mit der ersten schriftlich überlieferten Erwähnung aus dem Jahre 1134 (nach Wegener) an, sondern bereits viel früher. Übrigens wird inzwischen von kundiger Seite angezweifelt, dass sich der Hinweis in der Gründungs- und Schenkungsurkunde für das Kloster Clarholz (1134) auf unsere Heimatstadt bezieht (siehe Ochtruper Heimatblätter, Nr. 1, Seite 3; Bericht von K. D. Schreiber).

Archäologische Funde beweisen, dass mindestens circa zweitausend Jahre vor Christi Geburt unsere Gegend, wenigstens sporadisch, besiedelt war. Nach Wegener wurden Dorf und Kirchspiel Ochtrup im 10. oder 11. Jahrhundert auf altem germanischen Siedlungsland gemeinsam mit Epe, denn Epe gehörte eine zeitlang zum Kirchspiel Ochtrup, gegründet. Keimzelle war der Pröbstinghof. In einiger Entfernung vom Hof wurde als Mittelpunkt der Siedlung eine Holzkirche errichtet, die gegen 1200 durch eine Steinkirche ersetzt wurde.

Dorf und Kirchspiel Ochtrup erstreckten sich nördlich der Via Regia, der alten Königstraße, die vom Niederrhein zur Ems und weiter über Osnabrück verlief. Kirchlich gehörte Ochtrup zum Bistum Münster, das auch recht bald die weltliche Herrschaft übernahm.

Ochtrup lag zwar nicht an einer wichtigen Straße des hohen Mittelalters. Auch nicht an einer wichtigen Verbindungsstraße des 16. bis 18. Jahrhunderts, Ochtrup war nie ein bedeutender Verkehrs- und Handelsmittelpunkt. Ochtrup war anfangs und viele Jahrhunderte hindurch ein Dorf mit zusätzlich weit verstreuten Einzelhöfen in den umgebenden Bauernschaften. Die Bewohner ernährten sich von der Landwirtschaft und dem dazugehörenden ländlichen Handwerk. Ochtrup lag aber doch an einer gar nicht so selten befahrenen Verbindungsstraße des späten Mittelalters und der Neuzeit, dem „Deventer Hellweg“ oder „Hessenweg“. Nur wenige Bewohner profitierten von diesem Durchgangsverkehr durch Vorspanndienste und andere Hilfeleistungen (zum Beispiel Schmiedearbeiten).

Die geographische Lage brachte es mit sich, dass Ochtrup für den Landesherren, den Fürstbischof von Münster, eine gewisse Bedeutung erlangte. Fast das gesamte Münsterland gehörte bis auf einige Einsprengsel zum Fürstbistum Münster. Die bedeutendste Enklave in dem fast geschlossenen Gebiet war die Grafschaft Steinfurt, die sich nicht vereinnahmen ließ. Hinzu kam, dass die Herrschaft Steinfurt ein Hort der Reformation war. Nördlich der Gemeinde Ochtrup lag die Grafschaft Bentheim, ebenfalls der Reformation anhängend, und im Besitz des gleichen Herrscherhauses wie die Grafschaft Steinfurt. Zwischen beide Gebiete schob sich wie ein Keil das katholische Ochtrup. Unter anderem diese strategisch wichtige Lage führte zum Ausbau Ochtrups zur Festung (1593). Außerdem deckte die Festungsstadt Ochtrup die Flanke zu Twente ab. Dieses Gebiet war im 16. Jahrhundert und im Anfang des 17. Jahrhunderts zwischen Holländern und Spaniern hart umkämpft.

Zu einem Ausbau als mächtige Festung mit einer ständigen zahlenmäßig großen Besatzung fehlte es dem Landesherren aber an dem nötigen Geld. Einer energisch geführten Belagerung hätte sie bei den stets schwachen Verteidigungskräften nicht lange standgehalten, aber sie bot ausreichend Schutz vor den Streifzügen marodierender Soldatenhaufen. Sie diente aber auch während der Feldzüge des Fürstbischofs Bernhard von Galen, des „Kanonenbernd“, in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts als Basis für die umfangreiche Operation.

Seuchen, Brände, besonders der große Brand von 1599, suchten das Ackerbürgerstädtchen heim. Nicht immer günstig für die Stadt Ochtrup wirkte es sich aus, dass die Äbtissin von Langenhorst, zu deren Archiediakonat Ochtrup gehörte, naturgemäß das Interesse ihres Kloster vertrat. An dieser Stelle sei nur an den Streit um das 3. Stadttor für Ochtrup und das Recht zum Betreiben einer Mühle erinnert.

Es ist nun an der Zeit, ein „bodenständiges“ Handwerk zu erwähnen, und zwar das Handwerk, das Ochtrup zu dem Beinamen „Töpferstadt“ verhalf.

Schon vor einigen tausend Jahren konnten die Bewohner unserer Gegend aus tonigem Boden Gegenstände, vor allen Dingen Gefäße, herstellen. Im Laufe des 17. Jahrhunderts wuchs diese Kunst in unserer Stadt zu einem blühendem Handwerk heran, das wohl zuerst oft im Nebenberuf und später im Hauptberuf von einer ganzen Anzahl von Bürgern ausgeübt wurde. Reiche Tonlager, vor allem im Bereich der Osterbauernschaft und der Brechte, lieferten das Material für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen vielfältiger Art, aber auch von Spielzeug (Ochtruper Nachtigall), die durch die Pöttker zu Fuß, hauptsächlich im 18. und 19. Jahrhundert, in der näheren und weiteren Umgebung verkauft wurden. Um diese reichen Tonvorkommen entbrannte im 17. Jahrhundert ein Streit zwischen dem Fürstbistum Münster und der Grafschaft Bentheim. Das Fürstbistum Münster und die Ochtruper Töpfer behielten die Oberhand. So war für einen Teil der Ochtruper Bevölkerung die notwendige Lebensgrundlage gesichert.

Ein Erwerbszweig, der ebenfalls weitgehend, ja praktisch allein im Nebenerwerb zur Aufbesserung der knappen Einkünfte dienen musste, war die Handweberei. Sie blühte im 18. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war aber bereits vorher vertreten. Das Material für diese vor allem im Winter ausgeführte Arbeit wurde in der Regel von Händlern (Faktore) geliefert (Flachs, Baumwolle), und die fertigen Stoffe wieder zum Weiterverkauf übernommen. Der Lohn war karg, aber er half doch so mancher Familie, den Lebensunterhalt zu sichern. Einige Bürger, vor allem jüngere Männer, verdingten sich als Hollandgänger, um sich ein Zubrot zu verschaffen. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts suchte eine nicht geringe Anzahl durch Auswanderung nach Amerika ihren Lebensstandart zu verbessern.

Die im vorhergehenden Absatz erwähnten Faktoren kamen anfangs von auswärts (Rheine, Borghorst und Neuenkirchen). Erst relativ spät traten Ochtruper Bürger in diesem Geschäft auf, zwar verspätet, aber dann in großem Umfang (Familie Laurenz). Bald erkannten sie, angeregt durch Beispiele in anderen Landstrichen, dass diese Form der Herstellung und des Vertriebes keine Zukunft hatte und die Gründung von Fabriken zur Herstellung von Textilien verschiedenster Art notwendig war, um konkurrenzfähig in Deutschland und auf der Welt zu bleiben und vielen Menschen Arbeit und Brot zu geben.

So mancher kleine Landwirt wurde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Fabrikarbeiter, der aber weiterhin eigenen Boden besaß und diesen auch im Nebenerwerb bewirtschaftete. War der Besitz auch oft sehr klein, so gab er doch dem jetzigen Fabrikarbeiter den Rückhalt für schlechte Zeiten, den er leider hin und wieder brauchte. Die Textilindustrie war und ist vom Markt abhängig. Wirtschaftliche Flauten und Kriege wirkten und wirken sich naturgemäß aus. Mancher Bürger, hier vor allen Dingen die angeworbenen niederländischen Facharbeiter, wurden zum reinen Fabrikarbeiter, der neben seinem Erwerb in der Fabrik nur seinen Garten noch bearbeitete. Ochtrup wurde zur Textilstadt.

Die immer bessere Verkehrserschließung trug zum Aufblühen der Textilindustrie in erheblichem Maß bei. Das oft schlechte Straßennetz wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbessert, und durch den Bau der Eisenbahn Münster- Enschede (1875) konnten Massengüter günstig bezogen werden. Andere kleine Betriebe entwickelten sich, meistens aus handwerklichen Anfängen, aber trotz dieser fortschreitenden Industriealisierung blieb Ochtrup ein Ackerbürgerstädtchen bis in das 20. Jahrhundert hinein, nicht zuletzt durch die großflächigen Bauernschaften.

Ein Grossteil der Bevölkerung, ob Kleinhändler, Handwerker oder Fabrikarbeiter, war nebenbei noch Landwirt, und gemeinsam mit der großen Zahl der Vollerwerbslandwirte war somit der bäuerliche bodenständige Charakter der Bevölkerung bestimmend. Dieses sollte sich erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts ändern.

Seit das Fürstbistum um Münster im Ausgang des 13. Jahrhunderts feste Gestalt annahm, gehörte Ochtrup zu diesem geistlichen Fürstentum im Verband des Römischen Reiches Deutscher Nation. Ochtrup teilte mit allen Bewohnern des Landes das Schicksal des Fürstbistums in den Zeiten der Fehden, der Reformation und Gegenreformation, während des 30jährigen Krieges der Zeit des „Kanonenbernd“ und auch im siebenjährigen Krieg. 1803 verschwand das Fürstbistum Münster im Zuge der Säkularisation (Aufteilung der geistlichen Landesherrschaften) von der Landkarte. Zuerst wurde es salm- gumbachscher Besitz, fiel 1806 an das Großherzogtum Berg, wurde von 1810 bis 1813 französisch und kam 1814 zu Preußen, wo es faktisch 1945, offiziell durch Kontrollratsbeschluss 1947, verblieb. Es gehörte ab Gründung des Landes Nordrhein-Westfalen 1946 diesem an, und zwar ab 1949 in diesem Bundesland zur Bundesrepublik Deutschland.

Eine Erwähnung wert ist, dass Ochtrup während der französischen Herrschaft (1810-1813) Sitz einer Kantonverwaltung war. Zu diesem Kanton gehörten neben Ochtrup, Langenhorst, Welbergen auch die Gemeinden Gronau, Metelen und Nienborg. Ochtrup hatte im Jahr 1818 einschließlich Kirchspiel 3661 Einwohner, Langenhorst 223 Einwohner und Welbergen 644 Einwohner, das jetzige Gebiet der Stadt Ochtrup somit 4528 Einwohner. Die Stadt Ochtrup einschließlich Kirchspiel hatte mit 3661 Bewohner eine größere Einwohnerzahl als die Stadt Rheine mit 3291 Einwohnern.  Übrigens, bei der Gründung des Kreises Steinfurt im Jahr 1816 wird bei der Aufzählung der zugehörigen Gemeinden Ochtrup als Stadt bezeichnet und neben der Stadt als selbstständige Einheit das Kirchspiel Ochtrup aufgeführt. 1890 schlossen sich Stadt und Kirchspiel zusammen. 1965 bildeten die bereits zur gemeinsamen Amtsverwaltung Ochtrup gehörenden Gemeinden Langenhorst, Ochtrup und Welbergen die Stadt Ochtrup.

Wie lief die Entwicklung der Einwohnerzahl nach 1818 weiter? Im Jahr 1871 hatte Ochtrup 4284, Langenhorst 334 und Welbergen 620 Einwohner. 1925 waren es im Amt Ochtrup (Ochtrup, Langenhorst und Welbergen) 9541 Einwohner, während zum Vergleich die Stadt Rheine (ohne Amt Rheine) 27232 Einwohner zählte. Rheine hatte Ochtrup weit überrundet. In der Zeit von 1871 bis 1925 fand im Altkreis Steinfurt die Industriealisierung statt. Höhere Einwohnerzahlen bedeuteten in der Regel größere Industriealisierung, höhere Steueraufkommen und somit größeren Fortschritt. Aufgrund seiner günstigeren verkehrsmäßigen Lage hatte Rheine gegenüber Ochtrup einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht.

1950 lag die Einwohnerzahl des Amtes Ochtrup bei 14485. Der 2. Weltkrieg lag hinter uns, der Zustrom von Heimatvertriebenen, Flüchtlingen und Evakuierten hatte die Zahl hochschnellen lassen. Alle Arbeitsfähigen fanden in der aufblühenden Industrie, im Gewerbe, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsbereich Arbeit und Brot. Inzwischen ist die Einwohnerzahl (1993) auf über 18000 angestiegen. Betriebe wurden geschlossen, Arbeitsplätze wurden wegrationalisiert. Neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Wir wollen hoffen, dass dieser und den folgenden Generationen die Leiden und Nöte der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte erspart bleiben.

Literaturhinweis:

Wegener; Ochtrup

W. Kohl; 150 Jahre Kreis Steinfurt

Ochtruper Heimatblätter, Heft 1

 

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