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In Paris entdeckt

Lebensgewohnheiten um 1800

- von Heinrich Kleinerüschkamp, Emsbüren -

Über Land und Leute, die Kulturgeschichte und lebendige Lebensgewohnheiten unserer Vorfahren im ehemaligen Fürstbistum Münster gab es bis vor wenigen Jahren in den Geschichtsquellen nur spärliche Hinweise. Das, was man wusste oder zu wissen glaubte, gründete vornehmlich auf mündliche Überlieferungen.

Umso höher ist das Verdienst des Bocholter Historikers Heinrich Weber, gestorben 1983, zu bewerten, der als junger Student von 1951 – 1952 an der Sorbonne in Paris die französische Sprache und Geschichte studierte. Er entdeckte dort die fast in Vergessenheit geratenen „Memoires de 1`Abbe`Baston“, die er später zusammen mit seinem Bruder Franz erstmals ins deutsche übersetzte. Gedruckt wurden sie 1961 als Heft 3 der „Beiträge zur Landes- und Volkskunde des Kreises Coesfeld“.

Die von Abbe` Baston (1741-1825) beschriebenen Lebensgewohnheiten der Menschen um 1800 in Coesfeld werden sich wohl kaum von denen im übrigen Münsterland unterschieden haben. So sagte er einmal selbst: „... und genauso verhält es sich in allen Städten dieses Landes...“.

Inzwischen sind die „Erinnerungen des Abbe` Baston“ schon in der 3. Auflage erschienen und es wäre zu wünschen, dass diese Schrift nicht nur in Coesfeld und Umgebung, sondern darüber hinaus im ganzen Münsterland Beachtung finden würde. Das ist auch das Anliegen dieses Beitrages. Die mit echt französischem Esprit, aber auch mit feinem hintergründigem Humor angestellten Beobachtungen und Schilderungen der verschiedenen Gesellschaftsklassen im Fürstbistum, der kirchlichen Zustände und des religiösen Lebens, sowie vieler origineller Lebensgewohnheiten des „münsterländischen Menschenschlages“ bieten dem interessierten Leser eine Fundgrube von Erkenntnissen über die damalige Zeit.

So schüttelt Abbe` Baston – über dessen bewegtes Leben wenigstens noch etwas gesagt werden muss – missbilligend den Kopf, wenn er den Ursprung und das sehr geringe religiöse Leben in den zehn „adeligen Damenstiften des Fürstbistums Münster“ beschreibt und aufdeckt, wem zur damaligen Zeit diese Stifte mit ihren riesigen Grundbesitzungen in Wirklichkeit gehörten. Zu diesen adeligen Damenstiften gehörten neben Langenhorst und Welbergen auch noch die Stifte von Asbeck, Bocholt, Schwarze Stift, Borghorst, Freckenhorst, Hohenholte, Nottuln und Vreden. Man erfährt erstaunt, dass eine „Stiftskanonisse“ ein persönliches Jahreseinkommen in Höhe von 150 bis 200 Reichstalern hatte und dieses Einkommensrecht (das sogenannte „Präbendi“), nebst Sitz und Stimme in dem jeweiligen Stift, jederzeit meistbietend verkaufen konnte. Dazu benötigte sie weder die Zustimmung der Äbtissin, noch einer kirchlichen Behörde. Einzige Bedingung war, dass die Käuferin, ebenso wie ihre Vorgängerin und die anderen Stiftsdamen, wenigstens 16 (bzw. 32) sogenannte „Quartiere“ hatte, das heißt, entsprechende Wappenzeichen in ihrer Ahnenreihe vorweisen konnte. Für den gesamten Vorgang des Verkaufs der „Präbendi“ und des damit verbundenen Kanonissenamtes hatte man das schöne Wort „Resignation“ gefunden. Man sagte nicht: „... hat ihr Amt verkauft“, sondern: „::: sie hat resigniert“.

Im Stift Langenhorst, so erfahren wir von Baston, war Platz für dreizehn und im Stift Metelen für sechzehn „Kanonissen mit sicherem Einkommen und ohne Gelübde“. Man kann davon ausgehen, dass die „Stiftsdamen“ unter diesen Umständen für adelige (und nichtadelige?) Junggesellen oft eine „gute Partie“ waren.

Dem „Westfälischen Adel“ und dem „Adelsstolz“ widmet Baston gleich zwei besondere Kapitel, die man heute mehr oder weniger amüsiert zur Kenntnis nimmt: „Das bärtige Geschlecht raucht, geht auf die Jagd und tut sonst kaum etwas“. Vom „Kreuz in St. Lamberti“, dem Coesfelder Kreuz, berichtet er, dass „.. man versichert, dass der Kopf des Kreuzes eine beträchtliche Partikel des wahren Kreuzes enthält“. –Ähnliches wird auch vom ehemaligen Wallfahrtskreuz in der Kirche in Langenhorst berichtet.

Wer war dieser Abbe` Baston? Kurz gesagt: Er war Theologieprofessor und Domkapitular, der sich zu Beginn der französischen Revolution geweigert hatte, den Eid auf die „Constitution civil des clergi“ zu leisten. Ihm gelang es nach der jakobinischen Machtergreifung 1792 noch Frankreich zu verlassen, er war dann zunächst in London und Maastricht und später von 1794 bis 1803 im Münsterland, in Coesfeld, wo er Asyl fand. Aus einer anfänglichen Fremdheit und Reserviertheit erwuchs mit der Bevölkerung dann eine herzliche Verbundenheit.

Abbe` Baston berichtet genauestens über die Ess- und Trinkgewohnheiten der damaligen Zeit und man erfährt, dass in dieser Zeit beispielsweise der Festanzug des Mannes nicht etwa der schwarze Frack, sondern dieses ein weiter, schwerer Mantel war, der „mindestens zweimal um die Person herumging“ und in verschiedenen Farben getragen wurde. Die Kopfbedeckungen der münsterländischen Bäuerinnen werden bis ins kleinste Detail beschrieben. Dabei wird auch das „ständige Pfeiferauchen“ der gesamten Männerwelt nicht unerwähnt gelassen.

Besonders angetan war Abbe` Baston vom Kaffeetrinken im Münsterland. Dem widmet er in seinen „Erinnerungen“ gleich fünf Kapitel. Hiervon und von der „Zichorie“ eine „Kostprobe“ von ihm:

„Man trinkt den Kaffee zweimal täglich: morgens gegen acht, nachmittags um drei oder vier Uhr, immer mit Milch oder flüssiger Sahne, immer mit einer gewissen Feierlichkeit und immer mit Vergnügen, das nie verloren geht. Keine Magd, die nicht ihren Kaffee mit dem Lohn ausmacht. Ich habe keine Familie, ja kaum eine einzelne Person kennengelernt, für die dieser Nektar nicht nach und nach ein Getränk von äußerster Notwendigkeit geworden wäre. – Man begnügt sich keinesfalls mit einer Tasse wie in Frankreich. Die ganz Mäßigen hören mit dreien auf. In der Regel ist man erst bei vieren zufrieden. Es gibt aber solche, die bis zu sechs, sieben, zwölf oder mehr gehen. Allerdings ist der Kaffee, selbst in guten Häusern, nur eine Art gefärbtes Wasser. Die Menge Kaffee, aus der man in Frankreich eine gute Tasse macht, ergibt in der Regel in Westfalen ein halbes Dutzend. Außerdem vermischt man ihn oft mit verschiedenen Bestandteilen, die seinen Gehalt zwar nicht vermehren, aber seine Farbe kräftigen und ihm ein behagliches und kostspieliges Aussehen geben, das der Eigenliebe gefällt. Die Augen sagen, er sei stark, und wenn der Geschmack ganz leise bemerkt, dass er dünn sei, so lehnt die Eitelkeit den zweiten Zeugen trotz seiner größeren Glaubwürdigkeit ab und behauptet: Der Kaffee ist gut.

Von allen Mischungen, mit denen man zu vertuschen sucht, dass im Kessel nicht genug Kaffee sei, ist am allermeisten schätzenswert die wilde Zichorienwurzel. Wenig Gärten, die nicht ganze Beete von diesem Gewächs aufweisen, das zur Kräftigung der Kaffeebohne bestimmt ist und das vielleicht auch einige ihrer Fehler verbessert. Denn die exotische Kaffeepflanze hat nach dem Urteil sehr vieler Kenner schlechte Eigenschaften.

Wenn die Zichorienwurzel ganz ausgewachsen ist, reißt man sie in Stückchen, die man an der Sonne oder im Ofen dörrt. Hierauf röstet man sie wie Kaffee und gibt sie in die Mühle. Wenn man die Mischung mit Vorsicht vornimmt, höchstens etwa 1/5 oder 1/6 Zichorie, bekommt der Aufguss einen sehr angenehmen Geschmack. Zichorie im Laden gibt es nur vermischt mit Möhrenpulver, das auf gleiche Weise zubereitet wird. Und sie erraten den Grund dafür: „Möhren sind gewöhnlicher und billiger.“

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