ImpressumDatenschutz

Ochtrup und die Stunde Null

Stadtarchivar Paul Brockhoff

Dieser Artikel ist der letzte Bericht , den der allseits geschätzte, langjährige Stadtarchivar Paul Brockhoff, gestorben Anfang September 1991, unserem Arbeitskreis zur Verfügung gestellt hat. Mit dieser Veröffentlichung bedanken wir uns bei ihm noch nachträglich für alle Unterstützung. Er wird uns immer fehlen.

 

Der Zeitabschnitt vom 5. März bis zum 8. Mai 1945 ist für die Geschichte Ochtrups von einschneidender Bedeutung. Es waren am Ende des 2. Weltkrieges leidvolle Tage mit schrecklichen Auswirkungen und chaotischen Verhältnissen. Viele Bürger Ochtrups haben diese Tage bewusst nicht mehr miterlebt oder waren noch nicht geboren, als das Münsterland von den Truppen der Alliierten besetzt wurde.

Nun gibt es zwar umfangreiche Literatur über den 2. Weltkrieg, aber die lokalen Aspekte dieser Zeitgeschichte konnten aus verständlichen Gründen kaum Erwähnung finden. Als ständige Mahnung an den Frieden sollten sie aber festgehalten werden.

Am 5. März 1945 schrieb Bürgermeister Dr. Linnhoff: „Ochtruper, da die Zeitung als Vermittlerin zwischen Behörde und Bevölkerung mehr oder weniger ausfällt, nehme ich diesen Weg (Rundschreiben), um Verschiedenes zur Kenntnis zu bringen: Die heutigen Zeiten sind ernst, noch ernstere stehen uns bevor.“ – Er appellierte an die Bürger, zusammenzustehen und sich gegenseitig zu helfen. „Beteiligt euch nicht an der Gerüchtemacherei, denn wir leben auf Gedeih und Verderb in einer Schicksalsgemeinschaft.“ Er schrieb dann weiter:“ Leider hat der Bombenterror auch bei uns schwere Opfer gefordert. Wir müssen damit rechnen, das der Krieg uns noch näherrückt. Bei der immer noch festzustellenden Gleichgültigkeit wäre es nicht auszudenken, welche Opfer entstehen würden, wenn auch nur wenige Bomben den Ort selber treffen  sollten. Bei der Häufigkeit der Alarme ist es nicht möglich, jedes Öffentliche wirtschaftliche Leben zum Erliegen zu bringen. Aber, das bei Vollalarm unnötige Gänge und Besorgungen gemacht werden, die Eltern ihre Kinder auf den Straßen spielen und sogar Rollschuh  laufen lassen, ist ein Spiel mit dem Leben und verantwortungslos.“

Damals unterschied man zwischen einer örtlichen Luftwarnung – wenn einzelne Flugzeuge im Gebiet waren; beim Fliegeralarm befanden sich Flugverbände im weiteren Luftraum und bei Vollalarm (akute Luftgefahr) waren Angriffe auf unsere eigene Stadt nicht abzuschließen. In den beiden letzten Fällen war unbedingt „luftschutzmäßiges Verhalten“ angebracht.

Dr. Linnhoff fuhr in seinem Schreiben fort: „Vermehrte Aufmerksamkeit müssen wir gerade in unserem Gebiet den Ausländern schenken. Nach meiner Anordnung ist diesem Personenkreis bei Anbruch der Dunkelheit jeder Ausgang untersagt und der Arbeitgeber ist für die Einhaltung diese Anordnung verantwortlich. Unverständlich ist es, dass entwichene Ausländer wochenlang ohne Anmeldung beschäftigt und beköstigt werden. Hierzu ein besonders ernstes Wort: Es muss leider festgestellt werden, dass die Ausländer in Ochtrup vielfach besser verpflegt und versorgt werden, als unsere ebenso schwer arbeitende Bevölkerung. So wurde vor vierzehn Tagen von der Polizei auf der Landstraße ein Pole festgenommen, der sage und schreibe 30 Butterbrote zusammengehamstert hatte, von denen die meisten mit Wurst, Schinken u.s.w. belegt waren. Auch das Ausländer in den Geschäften mit Marken einzukaufen versuchen, kann nur auf falsches Mitlid oder unbegründete Angst zurückgeführt werden.“

Angekündigt weren dann einschneidende Kürzungen der Lebensmittelrationen. Das Gesamtkontingent musste auf 30% des Vorjahres gekürzt werden. Wenn vorweg der Bedarf der Krankenhäuser (Pius- Hospital) und das Reserve- Lazarett im Marienheim) und andere lebenswichtige Betriebe befriedigt  würden, blieben für jeden Haushalt nur wenige Zentner Kohle übrig. Selbstverständlich half die Stadt mit Brennholz und Torf, aber es reichte einfach nicht für so viele.

Dann wurden die Kaufleute aufgefordert, ihre Vorräte, falls noch vorhanden, nicht zurückzuhalten. Das Rundschreiben schloss:“ Nun nochmals, behaltet Ruhe und Überlegung, vergesst alles Kleinliche, helft und richtet einander auf, damit wir gemeinsam tapfer und mutig die Schwere der Zeit überwinden. Auch in den dunklen Tagen wird bei euch sein, euer Bürgermeister Dr. Linnhoff.“

Vor diesem Hintergrund nahm das Schicksal der Ochtruper Bevölkerung seinen Lauf.

Am 11. März 1945 meldete der Wehrmachtsbericht:“... nach Wochen langen heldenhaften Widerstandes westwärts des Rheins werden unsere Truppen befehlsgemäß aus dem Brückenkopf Wesel auf das Ostufer des Stromes zurückgenommen usw. ...“

Kein Tag vergeht in Ochtrup mehr ohne Fliegeralarm. Tagsüber waren die Geschäfte geschlossen, die Verkaufszeiten waren morgens von 6 Uhr bis 9.30 Uhr und Spätnachmittags von 17 bis 20 Uhr. Die Gottesdienste fanden, abhängig von den Luftalarmen, zu ganz unterschiedlichen Zeiten statt. – Am 11.3.45 fielen die Kaufleute Heinrich Pröpsting, Prof. –Gärtner- Str. 17 und Hermann Steingrobe, Weinerstr. 16 auf dem Bahnhof in Burgsteinfurt einem Bombenangriff zum Opfer. Das gleiche Schicksal erlitt der Landwirt Hermann Hillen, Wester, auf dem Bahnhof in Gronau.

Die „Organisation Todt“ (eine Paramilitärische Einrichtung) beendete mit Freiwilligen und zwangverpflichteten Männern, Frauen und Schülern – darunter auch viele Holländer – die Befestigungsanlagen in der Wester und am Berg und begann dann, den Ortskern in eine Festung zu verwandeln.

An allen Ausgangsstraßen wurden Panzersperren errichtet. Von früh bis spät waren feindliche Flieger am Himmel, um Bahnanlagen, Verkehrsknotenpunkte usw. zu zerstören und Verkehrsmittel aller art, besonders Lokomotiven, anzugreifen. Das führte natürlich zu einem Verkehrschaos. Um Abhilfe zu schaffen, waren die Fahrer aller Kraftfahrzeuge verpflichtet worden, alle „Reisenden“, die darum baten, mitzunehmen. Dabei waren Militärfahrzeuge nicht ausgenommen. Schnell hatten sich sogenannte „Anhalterbahnhöfe“ entwickelt, wie z.B. am Hotel Post und an Engels Kreuzung in Welbergen. Die Anhalter saßen dann oft oben auf dem Frachtgut, immer der Gefahr eines Tieffliegerangriffs ausgesetzt.

Die Herbeischaffung lebenswichtiger Güter wurde von Tag zu Tag schwieriger. Seit Februar war keine Fuhre Kohlen mehr angekommen. Der Post- und Paketverkehr kam ganz zum Erliegen; ganz zu schweigen von den Briefen unserer Soldaten von den zusammenbrechenden Fronten.

Im Januar 1945 fielen während eines Schneetreibens, links und rechts der Bentheimer Straße in der Wester bzw. Oster, flächenmäßig 126 schwere Bomben. Bei diesem Angriff, der vermutlich dem Flughaen Rheine- Bentlage gelten sollte, erhielt das Wohnhaus der Familie Sünker einen Volltreffer. Dabei starben Frau Sünker und zwei ihrer Söhne. Die übrigen Familienmitglieder erlitten teilweise schwerste Verletzungen.

Nach Wochen war der 16.3.1945 der erste alarmfreie Tag, aber zwei Tage später warf ein einzelnes Flugzeug ein paar Bomben auf den Bahnhof in Ochtrup. Dabei erhielt das Haus der Familie Volkery an der Metelener Straße einen Volltreffer. Das Anwesen versank in Schutt und Asche und begrub dabei unter sich die 62- jährige Frau Elisabeth Volkery mit ihrer 24jährigen Tochter.

Am 25.3.45 wurde das Haus Doths an der Schützenstraße bei einem Luftangriff auf die Bahnstrecke Ochtrup/ Münster von einer Bombe getroffen. Die 31jährige Frau Maria Doths

Und ihr 4jähriger Sohn Bernhard verloren dabei ihr Leben.

Inzwischen war der Volkssturm, das sogenannte „letzte Aufgebot“, der im Januar ausrückte und 6 Wochen in Wesel im Einsatz war, wieder zurückgekehrt. Wieder daheim zu sein, war für viele ein kleiner Trost, in diesen furchtbaren Tagen. Am 26.3.1945 meldete der Wehrmachtsbericht: „   in der großen Schlacht am Niederrhein verteidigten unsere Truppen die Tiefen des Hauptfeldes und setzten gleichzeitig ihre Angriffe gegen die aus der Luft gelandeten Engländer und Amerikaner fort, die sich gestern weiter verstärkten.“

In Ochtrup gab es eine unruhige Nacht. Alarm und Vorentwarnung wechselten sich in beinahe ununterbrochener Reihenfolge ab. Die Befestigung des Ortes war schlecht und recht zuende gebracht worden. An den Hauptausfallstraßen standen eine oder auch mehrere Panzersperren.

Panzersperren standen in Ochtrup an der Gronauerstraße (Molkerei), an der Bentheimer Str. (Häuser Oeinck und Ruhwinkel), an der Bergstraße (Häuser Keuter und Pelster), an der Winkelstraße/ heute Parkstraße (Häuser Lünter und alte Vikarie), an der Laurenzstraße (Häuser Kröger und Raue und zwischen Ruhwinkel und einer Werkswohnung Laurenz). Drei Sperren befanden sich auf der Kreuzung Metelener Str./ Schützenstraße/ Spinnereistrstraße als Gesamtabsperrung dieser Straßen sowie auf der Prof. –Gärtner – Staße zwischen Bierbaum und Gaupels.

Am 28.3.1945 herrschte den ganzen Tag wieder rege Lufttätigkeit. Kurz nach 17 Uhr wurde der letzte Alarm an diesem Tag ausgelöst, eine Entwarnung erfolgte nicht mehr, da der elektrische Strom bereits ausgefallen war. Ochtrup blieb ohne Strom, es war kein Rundfunk mehr zu hören und auch die Telefonverbindungen fielen aus. Der Zugverkehr war eingestellt und das Wasserwerk der Stadt, welches bis dahin noch 1 – 2 Stunden in Betrieb war, musste die Versorgung einstellen.

Niemand wusste, wie die Frontlage war. Wilde Gerüchte kursierten und die Unruhe in der Bevölkerung wuchs mehr und mehr. Karfreitag und Ostern 1945 standen vor der Tür.

Angesichts dieser Lage trafen viele Bürger Vorkehrungen zur Flucht in die Bauernschaften. Alles wertvolle Gut, wie Wäsche, Kleidung und Betten, ja sogar ganze Zimmereinrichtungen wurden zu Bekannten oder Verwandten in die Bauernschaft gebracht. Viele aus der Stadt übernachteten auch dort. Nur wenige Beherzte blieben in der Stadt. Allgemein wurde ein größerer Luftangriff befürchtet und dass Ochtrup dann von den Alliierten eingenommen würde. Nach einem verhältnismäßig ruhigem Morgen des Karsamstags am 31.3.1945 wurden gegen 16 Uhr auf der Gronauer Str. Fahrzeuge angegriffen. Inzwischen waren der Einsatzstab der Partei für die Befestigungsanlagen und die Männer der Organisation Todt (OT) verschwunden und die kriegsgefangenen Russen nach Bevergern verlegt worden.

Offiziell war Ochtrup am 1.4.1945 zum Frontgebiet erklärt worden. Der Lärm der Waffen kam von Süden und Westen her ständig näher. Nachmittags zogen einzelne Infanterie- Einheiten, aus der Weiner kommend, durch den Ort. Es folgten weitere versprengte Gruppen mit Zuggespannen, die sie in der Weiner requiriert hatten. Einige verbrachten die Nacht im Ortskern.

Am 2.4.1945 war Ochtrup bereits von allen Seiten eingekreist; Langenhorst und Welbergen waren bereits besetzt. In der Nacht gingen dann noch Feldartilleristen in der Nähe der Ziegelei Becker sowie im Venn in Stellung. Alliierte Fallschirmjäger besetzten Teile der Weiner, in der Nähe des Bahnübergangs beim 2. Katerkamp.

Ununterbrochen fluteten Soldaten der geschlagenen Wehrmacht völlig aufgelöst und ohne Ordnung nach Norden in Richtung Bentheim. In der Stadt selbst besetzten deutsche Infanteristen gegen Abend viele Hauseingänge der Weine-, Berg-, Bült-, Gronauer Str. sowie Häuser der vorderen Bentheimer Straße. Die Angst, das die Innenstadt verteidigt und ggf. dabei zerstört wurde, stieg ins Unerträgliche. Doch einige Stunden später wurden die Soldaten wieder abgezogen und entschwanden in Richtung Bentheim. Von ca. 20 Uhr konnte man im Ort bereits das Herannahen von Panzern aus Richtung Gronau deutlich vernehmen, ebenso aus der Richtung von Nienborg. Nachmittags hatte noch ein Alliierten- Duell zwischen den Alliierten in der Weiner und den deutschen Truppen in der Oster, über Ochtrup hinweg, stattgefunden. Der Ort lag dann am Abend und in der Nacht, besonders Im Bereich der Gronauer Straße, unter Panzerbeschuss. Eine größere Anzahl von Häusern wurde dabei beschädigt. Nach Mitternacht verstummten dann die Schießereien. Um ca. 1.30 Uhr rollten die ersten Panzer in die Innenstadt und besetzten ohne Widerstand den Lamberti- Schulplatz und andere Plätze und Knotenpunkte.

Osterdienstag, am 3.4.1945, schlug für Ochtrup die Stunde Null.

Der Wehrmachtsbericht vom gleichen Tage meldete:“   im Westen dauern die schweren Abwehrkämpfe im holländischen Grenzgebiet an...“

Rektor Anton Wegener hat die dramatischen Tage in der Chronik der Stadt Ochtrup festgehalten. Er lässt Augenzeugen berichten: den Bauern Bernhard Volbert, den Dolmetscher des Bürgermeisters Dr. Linnhoff bei den Übergabeverhandlungen in Langenhorst, zwei Soldaten aus Ochtrup, den Infanteristen Josef Tembrockhaus sowie den Fallschirmjäger Gisbert Wegener. Letztere waren bei den Einheiten, die bei den Rückzugsgefechten der Wehrmacht um Ochtrup beteiligt waren. Alle Beteiligten hier zu zitieren würde zu weit führen.

Erwähnt werden sollen aber die schriftlich festgehaltenen Übergabeerklärungen, die vom Dolmetscher niedergelegt wurden. Diese lauten im wörtlichen Zitat: „Am 31.3.1945 waren die Ereignisse soweit gediehen, das man stündlich mit dem Einmarsch der Engländer rechnete. In Gronau sowie in Nienborg und Langenhorst war der Feind bereits eingedrungen. In Ochtrup waren nur noch wenige deutsche Soldaten und somit eine Verteidigung absolut zwecklos. Leider war ein Hauptmann so verbissen, dass er die Verteidigung Ochtrups befahl. Der derzeitige Bürgermeister Ochtrups, der die Zwecklosigkeit der Verteidigung einsah und dem Ochtrup am Herzen lag, probierte nun alles, um Ochtrup eine Bombardierung und Beschießung durch Alliierte – zu ersparen. Inzwischen war die Nacht vom 1.4. auf den 2.4.1945 vergangen und es war dem Bürgermeister nicht gelungen, das deutsche Militär zu bewegen, von einer zwecklosen Verteidigung abzusehen, und so beschloss der Bürgermeister auf eigene Faust zu handeln.

Da er selbst der englischen Sprache nicht mächtig war, bewog er einen Sohn des Ortes als Parlamentär zu fungieren. Dieser Versuch hatte den erstrebten Erfolg und dem Ort Ochtrup wurde damit die Verwüstung erspart. Die Verhandlung, die in Langenhorst stattfand, hätte dem Bürgermeister um ein Haar das Leben gekostet. Aber der Parlamentär konnte den englischen Befehlshaber überzeugen, dass der Bürgermeister unschuldig war. Hier nun kurz die Ursache seiner Verhaftung: Der Bürgermeister hatte sein Ehrenwort dafür eingesetzt, dass bei einem eventuellen Einmarsch von Langenhorst her auf die Engländer kein Zielschuss abgefeuert würde.

Das Ehrenwort des Bürgermeisters war verankert durch das Ehrenwort des deutschen Offiziers, dem die Verteidigung der Stadt Ochtrup- Langenhorst oblag.

Sei es nun ein Missverständnis oder auch eigene initiative des einzigen Richtschützen einer PAK zwischen Ochtrup und Langenhorst, die zunächst beim Hause Henrichmann, später beim Hause Renkert stand, jedenfalls wurde bei der Einfahrt der duzenden feindlichen Panzer der erste Panzer zerschossen. Somit war das Ehrenwort des Bürgermeisters wie eine Luftblase zerplatzt und es kostete den Parlamentär, der mitarretiert wurde, seine ganze Überredungskunst, um den englischen Kommandanten zu überzeugen, dass der Bürgermeister nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hatte. Der Einmarsch verlief im großen und ganzen ziemlich ruhig. Es kam zwar zu Plünderungen, aber sie waren unbedeutend...“ – Soweit der Augenzeugenbericht des Parlamentärs, dessen Name in der Stadtchronik nicht erscheint.

Vom 1.4 bis 3.4.1945 fielen bei den Kämpfen im Gebiet von Ochtrup 15 namentlich bekannte deutsche Soldaten. Sie wurden auf Befehl der Militärregierung am 4.4. am Ort ihres Todes von umwohnenden Bauern begraben, jedoch am 15.4.45 wieder ausgegraben und in einem Massengrab auf dem Ehrenplatz des alten Friedhofs Alte Maate beigesetzt. Zwei Soldaten starben einige Tage später im hiesigen Reserve- Lazarett. Sie erhielten ihre Ruhestätte an der Seite ihrer Kameraden. Auf englischer Seite fielen 5 Soldaten, 4 davon wurden auf dem Ostwall begraben, einer in einem Einzelgrab in der Weiner.

Ab dem 1.4.1945 wurden in Ochtrup die Fliegeralarme registriert. Bis zum letzten Mal (am 28.3.1945) ertönten die Sirenen 2440 mal. Die Dauer der Fliegeralarme betrug in dieser Zeit 142.114 Minuten, das sind 98 Tage, 16 Stunden und 34 Minuten.

Nach Einmarsch der Engländer wurden alle Häuser nach verstecktgehaltenen deutschen Soldaten durchsucht. Die Häuser der Hauptstraßen erhielten eine Einquartierung englischer Soldaten. An vielen Stellen standen Doppelposten mit Maschinenpistolen. Im Hause Schmitz an der Lambertikirche wurde ein Wachlokal eingerichtet. Es vergingen bange Stunden. Gegen 6 Uhr früh wurde Pastor Oechtering auf dem Weg vom Pastorat zum Amtshaus durch einen Arm- und 3 Beinschüsse schwer verwundet. Er hatte die Absicht, wegen der verabredeten Hissung einer weißen Fahne auf dem Kirchturm, mit dem Bürgermeister Rücksprache zu nehmen. Es herrschte eine allgemeine Ratlosigkeit. Die Bürger harrten unter Schockeinwirkung der Dinge, die noch kommen sollten. Die panikartige Stimmung löste sich gegen 9 Uhr als mittels eines Lautsprecherwagens mitgeteilt wurde, dass in allen Straßen mit sofortiger Wirkung ein allgemeines Ausgehverbot in Kraft trat. Die Wachposten wurden durch Militärstreifen ersetzt.

Den ganzen Tag über rollten Panzer auf Panzer durch Ochtrup in Richtung Bentheim und Rheine. Bürgermeister Dr. Linnhoff und Amtsoberinspektor Lilienbecker wurden unter Aufsicht zweier englischer Offiziere mit der vorläufigen Weiterführung ihrer Amtsgeschäfte beauftragt. Am Abend war wieder starker Kampflärm aus Richtung Gildehaus/ Bentheim zu hören. Schwere Granateinschläge in der Wester ließen noch in der Stadt die Scheiben klirren.

Der folgende Tag, es war der 4. April 1945, brachte erste Erleichterungen. Die Bäckereien und Lebensmittelbetriebe nahmen ihre Geschäfte wieder auf. Auf Anordnung des Bürgermeisters behielten die mit dem 1. April abgelaufenen Lebensmittelmarken ihre Gültigkeit für die ganze Woche. Das Ausgehverbot wurde weiter aufrechterhalten, lediglich Frauen durften zur Erledigung ihrer Einkäufe 2 Stunden nachmittags ausgehen. Die Molkerei blieb weiter geschlossen. Man versorgte sich mit Trinkwasser und Milch bei den umliegenden Bauern.

 

Um die Mittagszeit wurden die Bauern Seggert und Stohldreier, die nach verlorenen Pferden suchten, von Militärstreifen beschossen. Bauer Seggert wurde dabei tödlich getroffen. Bauer Stohldreier starb einen Tag später an seiner schweren Verwundung. Weitere Opfer an diesem Tag wurden die Melker Drüke und Sietze Dam, sowie der aus Rheine evakuierte Heinrich Woyte durch das leichtsinnige Hantieren mit einer Tellermine am Alt-Metelener-Weg. Noch zu vermerken ist außerdem, dass an diesem Tag der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Cleg, verhaftet wurde.

In der Nacht auf den 5.4.1945 war wieder starker Schlachtenlärm aus nördlichen Richtungen zu vernehmen.

Bereits am dritten Tag der Besatzung wurde das Ausgehverbot teilweise aufgehoben. Jeder durfte sich im Umkreis von 5 km, vom Ortsmittelpunkt aus gerechnet, wieder frei und ungehindert bewegen. Nur für die Zeit zwischen 18 Uhr abends und 7.30 Uhr morgens blieb die Ausgangssperre bestehen.

Die ersten Verordnungen und Erlasse erschienen auf dem schwarzen Brett am Amtshaus. Dort drängten sich die Bürger, um die wichtigsten Informationen zu lesen. Dabei war an vielen Gesichtern zu erkennen, das man froh war, Dass nun das schreckliche Kriegsgeschehen ohne große eigene Verluste überstanden war. Was war denn nun der Inhalt der Aushänge? Einerseits wurde die Auflösung und das Verbot der NSDAP und ihrer Gliederungen, sowie das Aufheben aller seit 1933 erlassenen, freiheitsbeschneidenden Gesetze verkündet. Andererseits wurde die Aufforderung erlassen, alle evtl. versteckt gehaltenen deutschen Soldaten zu melden und die Ablieferung sämtlicher Waffen angeordnet. Über diese Themen wurde natürlich eifrig diskutiert.

Am späten Nachmittag wurde auch wieder Strom geliefert. Die beiden Reserve- Lazarette – Pius- Hospital und Marienheim wurden aufgelöst. Die verbliebenen Verwundeten wurden in ein Sammellazarett nach Rheine- Bentlage verlegt. Die Bevölkerung kehrte, soweit sie in den Bauernschaften Zuflucht gefunden hatte, wieder in die Stadt zurück.

Am folgenden Morgen, am 6.4.1945, rückte ein grossteil der englischen Kampftruppen wieder ab. Andere Einheiten besetzten die Fa. Gebr. Laurenz und die Fa. Ross. Beide Betriebe durften weder von den Besitzern, noch von der Belegschaft betreten werden. Auch das Postamt und der Bahnhof wurden besetzt. Allerdings konnte die Amtsverwaltung mit einigen Beamten und Angestellten ihre Arbeit wieder aufnehmen. Sie wurden allerdings dem englischen Gouverneur in Burgsteinfurt unterstellt. Die Amtsparkasse wurde angewiesen, die Arbeit mit der Maßgabe wieder aufzunehmen, Dass die Reichsmark weiterhin als Zahlungsmittel galt und das sämtliche Devisen und ausländische Gelder  abzuliefern sind. Das von den Alliierten in Umlauf gebrachte Geld wurde durch Gesetz in Annahmepflicht gesetzt. Als „Chief- Bank“ des Kreises Steinfurt fungierte die Reichsbank- Nebenstelle in Rheine. Weiterhin wurden alle Sparkassen verpflichtet, monatlich der Militärregierung über den Kassenbestand und über Einnahmen und Ausgaben zu berichten.

In der Amtsverwaltung meldeten sich 15 deutsche Soldaten, die sich über Ostern 1945 hier auf Urlaub befanden. Sie galten als Kriegsgefangene und wurden zunächst ins Hubertusheim zusammengezogen und dann in ein Durchgangslager nach Stadtlohn verlegt. An diesem 16.4 kamen die beiden 14 jährigen Lehrlinge Ludger und Heinrich Büter auf dem Alt- Metelner- Weg durch eine dort verlegte Tellermine ums Leben.

Wieder war ein Tag vergangen; die unmittelbare Angst war etwas gewichen, jedoch blieb für alle der Druck auf das kommende Ungewisse. Die Verkehrsverhältnisse und damit auch die Versorgung waren absolut unklar. Die Ochtruper blieben bezüglich der Ernährungsversorgung ganz auf sich allein gestellt.

Im Gegensatz zu den Problemen in den Großstätten sicherten die noch vorhandenen Vorräte in den Geschäften sowie der heimischen Landwirtschaft eine zwar knappe, aber ausreichende Ernährung. Sie sah in etwa für den Normalverbraucher wöchentlich wie folgt aus: 1500 g Brot, 100 Gramm Fleisch und 125 Gramm Butter bzw. Fett. Darüber hinaus wurden einmalig 500 Gramm Haferflocken von der Firma Schräder ausgegeben. Um eine gleichmäßige Lebensmittelausgabe zu gewährleisten, wurden vom Wirtschaftsamt Lebensmittelkarten ausgegeben, deren Nummern von Woche zu Woche neu aufgerufen wurden. Die Versorgung mit Kartoffeln war weniger problematisch. Hier am Ort gab es viele Selbstversorger und es wurde regelmäßig entsprechender Vorrat eingekellert. Die Ochtruper Bauern konnten damals sogar 1000 Zentner Kartoffeln für die Stadt Gronau und 1000 Zentner für das Ruhrgebiet bereitstellen.

Am 8. April 1945 war bereits die Molkerei Ochtrup in Betrieb und am 10. April das Wasserwerk der Stadt wieder soweit instand gesetzt, dass das lebensnotwendige Trinkwasser wieder geliefert werden konnte. An diesem Tag erging die Anordnung der Militärregierung, dass jeder Einwohner einen vom Bürgermeister unterschriebenen Personalausweis bzw. eine Kennkarte mitzuführen habe.

Inzwischen erhielten auch die Kirchen ihre alten Freiheiten zurück und somit durfte auch das Angelusläuten wieder 3 mal täglich stattfinden. Nach 10 Tagen erhielt die katholische Kirche auch die Bücherei wieder zurück. Zuvor war jedoch aus dem gesamten Buchbestand alles national- sozialistische und militaristische Schriftgut entfern worden. Gleichzeitig wurde die Bücherei selbst in die ehemalige Volksbücherei in der Weinerstraße verlegt.

Für das Gebiet des Amtes Ochtrup wurde ein Arbeitsamt eingerichtet. Zu den ersten Arbeitsaufgaben gehörten die Beseitigung der Panzersperren und der Schützengräben. Bei weiter entfernten Arbeitseinsetzen wurden die Arbeiter sogar mit englischen LKW´s zum Einsatz gefahren. Es bestand eine Militäranordnung, dass alle Männer zwischen 16 und 60 Jahren bei einem Durchschnittslohn von 0,55 RM/h beschäftigt werden müssten. Das Holz der Panzersperren wurde an die hiesigen Bäckereien und Metzgereien abgegeben.

Die Bewegungsfreiheit der Bürger wurde durch die Festlegung der Polizeistunde (von 20.00 – 6.00 Uhr) und einen Bewegungsumkreis von 5 km auf 30 km erweitert. Ab der neuen Lebensmittel- Zuteilungsperiode am 30.04.1945 galten vom Kreis Steinfurt herausgegebene Lebensmittelkarten, die auch im ganzen Kreisgebiet Gültigkeit hatten.

Am 5. Mai 1945 wurde das Marienheim wieder zum Lazarett, und zwar in erster Linie für ausländische Insassen des Konzentrationslagers Belsen. Sie wurden durch 2 französische Ärzte medizinisch versorgt.

Am Tag nach der Kapitulation setzte der Militärgouverneur eine Besprechung mit allen Bürgermeistern des Kreisgebietes an. Allerdings diente diese nur der Entgegennahme von Befehlen und Anweisungen. Hiervon nun anschließend einige Anmerkungen.

-         Zwecks Registrierung der Bevölkerung hatte jeder Hausbesitzer alle Einwohner in eine 2- fache Liste einzutragen. Ein Blatt musste außen an der Tür des Hauses befestigt und das andere Blatt im Amtshaus abgegeben werden.

-         Alle Kraftfahrzeuge und Motorräder mussten angemeldet werden.

-         Es mussten Kuriere bestimmt werden, die als Hilfspolizisten eingesetzt, täglich ein- bis zweimal die Verbindung zur Kreisstadt aufzunehmen hatten.

-         Es wurde den deutschen Mädchen (auch den Eltern) bei Strafe untersagt, einen Kontakt mit englischen Soldaten aufzunehmen.

-         Die Reichsbank in Rheine wurde weiterhin zur führenden Bank im Kreis bestellt.

-         Die Kohlenversorgung aus Ibbenbüren bzw. aus dem Ruhrgebiet wurde gegen Lieferung von Nahrungsmitteln wieder in Gang gesetzt.

-         Jeder Kreis wurde angewiesen, dass er für die eigene Bevölkerung selbständig zu sorgen habe. Es würden mindestens 25 Jahre keine ausländischen Lebensmittel- Importe mehr zugelassen.

-         Alle Gemeindeverwaltungen mussten neue Haushaltspläne erstellen. Alle Personen, die nicht in Arbeit standen, auch Lehrer, ehemalige Eisenbahner, Soldatenfrauen und Kranke, durften keinerlei Gehalt beziehen. Bedürftige konnten zwar Wohlfahrtpflege in Anspruch nehmen, jedoch musste zuerst auf eigenes Kapital und Vermögen zurückgegriffen werden.

-         Jeder Deutsche musste seinen gesamten Kleiderbestand melden. Angeblich überflüssige Kleidung wurde für Fremdarbeiter beschlagnahmt. Ausgenommen waren lediglich namentlich genannte ausgebombte und evakuierte Personen. Erleichterungen waren für Landwirte möglich. Der Bürgermeister wurde für die Einhaltung dieser Anweisungen verantwortlich gemacht.

-         Am 19. Februar 1945 war im Alliierten Nachrichtenblatt Nr. 2 folgendes zu lesen: Dasselbe Elend, das euch jetzt hohläugig durch Ruinen jagt, habt ihr den anderen Völkern Europas bereitet. Und ihr habt euch nicht einmal umgesehen nach dem Jammer, der euer Werk war. Die Völker haben diesen Jammer überdauert. Auch ihr werdet den Jammer überdauern, allerdings nur unter der Bedingung, dass ihr eure Seele rettet. Und das ist die furchtbare Prüfung und die große Frage: Wird Deutschland seine Seele retten?“

 

HEIMATVEREIN
Der VereinJahresprogrammAktuellesOchtruper AllerleiLiteraturbeiträgeAlte SchriftstückeHeimatblätterBücherverzeichnis OchtrupTermine
De PättkeslüeDenkmalpflegeHeimatkundeBrauchtumspflegeRadfahren und ReisenSenioren
De Pättkeslüe Denkmalpflege Heimatkunde Brauchtumspflege Radfahren und Reisen Senioren