von Anita Bender
Der Geheime Kommerzienrat Hermann Laurenz zählt zweifellos zu den großen Vorbildern seiner Zeit, dessen Spuren uns heute noch begegnen.
Wenn man der Person des Geheimen Kommerzienrates Hermann Laurenz gerecht werden will, so sollte man zunächst einen Blick auf seinen Geburtsort Ochtrup, in dem die Familie seit unvordenklicher Zeit ansässig war, richten.
Das Wigbold Ochtrup, in früheren Jahrhunderten mehrfach gebrandschatzt, lag in der Jugendzeit von Hermann Laurenz weit ab von dem Weltverkehr, der schon damals durch Eisenbahn und Schiffahrt vermittelt wurde. Zwar befand sich Ochtrup an der Landstraße, die von Münster nach Bentheim führt und hier nach Gronau und Enschede abzweigt, aber die nächste Bahnstation Bentheim war 14 Kilometer von Ochtrup entfernt. Ein größeres geschäftliches Leben wollte sich deshalb lange nicht entwickeln. Bezeichnend für den Verkehr in Ochtrup waren die postalischen Verhältnisse. Die Leitung der Postverwaltung lag in der Hand eines neben-amtlichen Postverwalters. Hauptamtlich angestellt war nur ein Postbote, der aber durch die eigene Landbestellung derart in Anspruch genommen war, daß er den geschlossenen Ort nur mäßig mitversorgen konnte. Gegen ein kleines Trinkgeld besorgte das Dienstmädchen die Ortsbestellung des Postverwalters, das die wenigen Postsachen, in einem geflochtenen Stopfkorbe hübsch verwahrt, einmal am Tage im Orte verteilte. - Ein Idyll alter Zeit. - Damals lebte jeder Ochtruper Einwohner zum großen Teile von der Landwirtschaft, die nicht intensiv betrieben wurde. Es lagen große Flächen als “Markenland” und unkultivierte Heide brach. Deshalb mußte nach einem Nebenverdienst gesucht werden, der in der Topfbäckerei, der Handweberei und der Wannenflickerei gefunden wurde. Seit ewiger Zeit wurde Flachs angebaut, dieser zu Leinengarn gesponnen und verwebt, zum Teil für den eigenen Bedarf, zum Teil zum Verkauf an Händler, die die Leinenstücke hauptsächlich nach Holland vertrieben. Charakteristisch für die damaligen Verhältnisse in Ochtrup war, daß noch in der zweiten Hälfte der 1840er Jahre ein fleißiger Hausweber drei Groschen und zwei Pfennig pro Arbeitstag verdiente. Der Webstuhl stand in der Küche, wo der Herd die einzige Feuerstelle des Hauses war. Beheizte Zimmer waren eine Seltenheit.
Doch zurück zu Hermann Laurenz: Dieser war der älteste Sohn der Eheleute Anton Laurenz und Clara Maria geb. Schmitz, aus deren Ehe zehn Kinder hervorgingen; unter anderem sein jüngerer Bruder Heinrich, auf den später noch zurückzukommen ist. Anton Laurenz betrieb außer seiner Landwirtschaft noch eine Ölmühle, eine Bäckerei und einen Laden, in dem, abgesehen von den Erzeugnissen seines gewerblichen Betriebes, alles, vom Kaffee bis zu Kuhketten und Nägeln, zu kaufen war - ein altes dörfliches Warenhaus. Anton Laurenz hatte drei Brüder und zwei Schwestern. Zu seinem Bruder Bernhard und dessen Familie bestanden enge Beziehungen. Anton und Bernhard Laurenz zogen gemeinsam über Land auf die Märkte, wo sie ihren Handel betrieben. Die ältesten und bedeutendsten Märkte dieser Umgebung waren in Ahaus und Schüttorf.
Aus diesen Verhältnissen ging mit Hermann Laurenz einer der bedeutendsten Industriellen seiner Zeit hervor. Das war nur möglich aufgrund dessen hervorragender Begabung, und besonderer Veranlagung zu Handel und Industrie und außerordentlichen Tatkraft.
In seiner Schulzeit wurde er von seinen Mitschülern neidlos als bester Schüler anerkannt. An den Besuch eines Gymnasiums dachte man in Ochtrup höchst selten und eine Rektoratschule gab es noch nicht. So erhielt Hermann Laurenz von seinem Vater die Erlaubnis, das Lehrerseminar in Langenhorst zu besuchen. Drei Jahre lang legte er täglich den Weg zu der neuen Bildungsstätte zurück und keine widrigen Witterungsverhältnisse konnten ihn von dem Besuch der Schule abhalten. Seine Kenntnisse in Geschichte, Literatur und der französischen Sprache waren umfangreich. Auf Anordnung seines Vaters wurde er im elterlichen Geschäfte praktisch eingesetzt. Seine größeren Neigungen lagen jedoch in der Landwirtschaft. Als ausgesprochener Naturfreund behielt er seine Liebe zur Landwirtschaft sein Leben lang. Auch in späteren Jahren, als er schon ein angesehener Großindustrieller war und seine Grundstücke durchweg verpachtet hatte, behielt er sich einige zur Eigenbestellung zurück.
Das Hauptinteresse von Hermann Laurenz lag in der Fabrikation und dem Handel, wozu auch in Ochtrup Gelegenheit gegeben war. Die bereits erwähnte Leinenweberei wurde Anfang der 184Oer Jahre abgelöst von Nesselweberei. Verschiedene auswärtige Firmen hatten in Ochtrup Faktoreien eingerichtet. Es wurden damals noch englische Garne an die Handweber ausgegeben, die wöchentlich die entsprechende Menge an Geweben gegen Empfang ihres kärglichen Lohnes ablieferten.
Mitte der 1840er Jahre gab es in Ochtrup etwa 400 Handweber. Anfang des Jahres 1854 errichteten Gebr. Scho und Ferdinand Schmitz in Ochtrup eine Handweberei, die jedoch heute nicht mehr besteht. Am 13. August desselben Jahres richteten Anton und Bernhard Laurenz unter der Firma “A. und B. Laurenz” als offene Handelsgesellschaft unter Mitwirkung des damals 25 Jahre alten Hermann Laurenz eine Handweberei ein mit einem Gesellschaftskapital von 4.000 Talern. Ihr Privatvermögen überstieg schon damals ihre Geschäftseinlage um ungefähr das Zehnfache.
Die Leitung des Geschäftes übernahm zunächst Hermann Laurenz allein. Die Geschäftsinhaber kamen altersbedingt in dem neuen Betrieb nicht zurecht. Anton Laurenz war zur Zeit der Geschäftsgründung bereits 72 Jahre alt, während Bernhard Laurenz schon ein Alter von 54 Jahren erreicht hatte. Im Jahre 1855 trat daher der jüngere Bruder von Hermann Laurenz, Heinrich, der Firma bei. Es wurden sofort 50 Handweber beschäftigt. Weil das Arbeiterpersonal in Ochtrup knapp geworden war, errichtete man Faktoreien in Welbergen, Epe und Heek errichtet und nahm die Herstellung von Biber, Pique und Hemdennessel auf. Die Zahl der Handweber stieg somit auf 400 bis 500. Als in Westfalen die mechanische Weberei eingeführt wurde, drängte Hermann Laurenz auf Errichtung einer solchen.
Im Jahre 1864 legte man auf einem vier Morgen großen Grundstück den Grundstein für die mechanische Weberei mit 216 Webstühlen. Der dortigen 30 PS-Dampfmaschine verdankte die Ochtruper Lambertikirche als erste Kirche im Münsterland elektrisches Licht. 1868 wurde die bisherige Firma geändert in “Gebr. Laurenz”. Kluge Geschäfte ließen die Firma expandieren.
Die Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges brachte neuen geschäftlichen Aufschwung in Deutschland. In diese Zeit fiel die Erweiterung der Weberei auf 450 Webstühle, die Anlage der Schlichterei, einer Spulerei und einer Färberei sowie die notwendig gewordene Errichtung eines großen Lagerraumes. Selbst die Dampfkraft wurde erheblich vermehrt.
Der Name Hermann Laurenz war im besten Sinne weithin bekannt. Hermann Laurenz galt als weitsichtiger Großindustrieller und als großzügiger Freund seiner Arbeiter. Sein Wirken wurde durch die Ernennung zum Kommerzienrat im Jahre 1879 anerkannt.
Der zehn Kilometer entfernt liegende Ort Epe trug damals noch mehr ländlichen Charakter. Dort wurde durch Hermann Laurenz eine Buntweberei für 500 Webstühle in Betrieb genommen.
Im Jahre 1881 richtete er in Ochtrup eine Rauherei und im Folgenden eine Färberei und Druckerei für Flanell, Barchent und Hosenstoffe ein. Durch Ankauf des Bauernhofes Pröbsting wurde die Möglichkeit geschaffen zu einer fast uneingeschränkten Erweiterung der Fabrikationsanlagen und zum Bau von Arbeiterwohnungen.
Die Weberei in Epe wurde ständig vergrößert und auf 828 Webstühle gebracht. Hinzu kamen eine Färberei und Bleicherei.
Die Firma wuchs von Jahr zu Jahr. Es wurden Geschäftshäuser in Berlin, Stettin, Mönchengladbach und Königsberg angelegt. 1891 wurde die Spinnerei am Bahnhof mit 15.000 Spindeln in Betrieb genommen, im folgenden Jahre auf 32.400 Spindeln erweitert und 1893 auf 37.492 Spindeln gebracht.
Zu derselben Zeit waren in Ochtrup und Epe 2.115 Webstühle in Betrieb.
Die Kontorgebäude entsprachen nicht mehr den geschäftlichen Anforderungen. Deshalb wurde 1894 ein modernes Kontorgebäude mit zwei Stockwerken, Dachgeschoß und hohem Kellergeschoß gebaut. Der erste Stock enthielt neben den Kontorräumen auch Baderäume. Für die Betriebsangehörigen wurde eine neue Konsumanstalt eingerichtet.
Hermann Laurenz widmete seine letzten Jahre der Verbesserung und Erneuerung des Betriebes. In diese Zeit fällt seine Ernennung zum Geheimen Kommerzienrat durch Willhelm, König von Preußen.
Im Jahre 1895, am 29. November, bereitete der Tod der rastlosen Arbeit des unermüdlichen Geistes ein Ende. Tiefbetrauert von seiner Familie, seinen Betriebsangehörigen und der ganzen Gemeinde Ochtrup fand er seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof Alte Maate. ,,Hermann", der nicht nur Arbeitgeber, sondern Zuflucht in allen Lebenslagen seiner Mitarbeiter war, hinterläßt offensichtlich tiefe Spuren. Er war stolz auf das ihm geschenkte Vertrauen und würdigte es zu Lebzeiten durch Wohltaten. So richtete er die Fabrikkrankenkasse ein, als noch kein Gesetz die Errichtung einer Krankenkasse verlangte. Diese wurde 1994 aufgelöst.
Das Gefühl, Wohltätigkeit sei eine heilige Christenpflicht, war seit langem in der Familie Laurenz fest verankert. Die Familien A. und B. Laurenz bauten und unterhielten zuerst das Krankenhaus aus eigenen Mitteln. Große Wohltätigkeitsanstalten wie das Marienheim und das Clarastift haben Hermann, Clara und Heinrich Laurenz geschaffen. Bei dem 75jährigen Jubiläum der Firma Gebr. Laurenz wurden die beiden Söhne von Hermann Laurenz, die Kommerzienräte Anton und Bernhard Laurenz, zu Ehrenbürgern der Stadt Ochtrup ernannt und die Straße, an der die Fabrik liegt, umbenannt von Burgsteinfurter- in Laurenzstraße.
Während im Jahre 1871 Ochtrup noch 4.287 Seelen zählte, war die Einwohnerschaft im Todesjahr von Hermann Laurenz auf 6.196 gestiegen. Die im Jahre 1874 hauptsächlich auf seine Anregung und Bemühung errichtete Amtssparkasse hatte im ersten Jahre 80.111 Mark, im folgenden Jahre schon 182.562 Mark Einlage und diese stieg im Jahre 1895 auf 2.241.998 Mark.
Das alte Ochtrup hatte mittlerweile ein neues Gesicht erhalten. Hübsche Häuser, gut gepflasterte Straßen mit elektrischer Beleuchtung prägten das Ortsbild.
Neue Straßen konnten angelegt werden; von 1870 - 1928 insgesamt 43.300 Meter.
Hermann Laurenz war lange Zeit Vorsteher im Wigbold Ochtrup. In diese Zeit fiel die Zusammenlegung der beiden Gemeinden Ochtrup - Wigbold und Kirchspiel Ochtrup.
Mit dem Geheimen Kommerzienrat Heinrich Laurenz verstarb der letzte Vertreter der zweiten Generation der Familie Laurenz. Von seinen 75 Lebensjahren gehörten fünfeinhalb Jahrzehnte dem Familienunternehmen, das er gemeinsam mit seinem Bruder Hermann aufbaute.
Heinrich Laurenz hatte eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Wildt & Matthesen in Borghorst im Bereich Textil erhalten. Er war ein hervorragender Organisator und Korrespondent. Seine Arbeit galt überwiegend dem inneren Betriebe des zu wachsender Geltung aufsteigenden Unternehmens. Jahrzehntelang widmete er sich den kommunalpolitischen Aufgaben seines Heimatortes. Sein Interesse galt in seinen letzten Jahren auch einem anderen Industriezweig, der Beckumer Zementindustrie. In Neubeckum wurde im Jahre 1904 das Kalkwerk ,,Anna“ (nach seiner Gemahlin Anna geb. Klostermann) erfolgreich gegründet.
Die hohe päpstliche Auszeichnung mit dem Gregorius-Orden wurde einem Manne zuteil, der sich, auch aus religiöser Verantwortung mit den sozialen Fragen der Zeit beschäftigte und diese dringliche Aufgabe zu verwirklichen bemüht war. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof ,,Alte Maate" neben dem von Hermann und Heinrich gestifteten Friedhofskreuz.
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